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Wie mich das Reisen zu einem (etwas) besseren Menschen gemacht hat

Wenn ich von meinen Reisen erzähle, dann berichte ich natürlich von der schönen Landschaft, vom guten Essen und den freundlichen Menschen. Aber im selben Atemzug erzähle ich oft auch davon, wie es sich auf meine Persönlichkeit und mein ganzes Weltbild ausgewirkt hat.
Ich glaube, dass Reisen mitunter die beste Investition in dich selbst ist. Die positiven Effekte lassen sich ohnehin kaum in Geld aufwiegen, denn Geld ist am Ende des Tages – oder am Ende der Welt – auch nur Papier und die Erinnerungen und Eindrücke begleiten dich im Gegensatz dazu ein Leben lang.

Hier also mein Versuch zu erklären, was beim Reisen mit mir passiert ist und wie es mich zum Guten verändert hat:

1. Naturverbundenheit

Manchmal reicht es schon, öfters mal der Stadt zu entfliehen aber gerade außerhalb des bekannten Territoriums lernt man erst die kleinen Wunder dieser Welt kennen: all diese wunderlichen Pflanzen in seltsamen Formen und Farben, unbekannte Tiere und ihr ungewohnten Gesänge, neue Klimazonen, neue Himmelsbilder, bizarre Wolkenformationen, Vulkane, Regenwälder, Wüsten. Unsere Erde bietet ein unendliches Spektrum das es unbedingt zu schützen gilt; und meist lernt man es erst richtig zu schätzen, wenn man es mit eigenen Augen gesehen hat.

2. Toleranz

Für mich sind es die Menschen, die man unterwegs trifft, die eine Reise erst richtig interessant und denkwürdig machen. Wenn ich die Augen schließe und mich zurückerinnere, dann sehe ich zuerst den freundlichen Taxifahrer der mir geholfen hat, die lächelnden Verkäuferinnen in den Eingängen ihrer Läden oder die Gruppe von Backpackern in der runtergerockten Strandkaschemme, mit denen man die besten Tips ausgetauscht hat. Man lernt Unmengen von Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen, mit verschiedensten Persönlichkeiten kennen und obwohl man oft nicht einmal die selbe Sprache spricht, ist uns allen etwas gemein: wir sind alle gemeinsam auf diesem Planeten, wir haben die selben Empfindungen, die selben Wünsche oder Ängste. Dass wir grundsätzlich alle gleich sind und dass man überall auf der Welt Freunde findet war eine der wichtigsten Erkenntnisse für mich.

3. Genügsamkeit

Wenn man mehrere Monate aus dem Rucksack lebt, wird einem klar, wie wenig man überhaupt zum Leben braucht. So gut wie nichts nämlich. Wenn man sich dann überlegt, wie viel Zeug man Zuhause angesammelt hat kann einem ganz schwindelig werden ob unserer unstillbaren Konsumgier und der naiven Annahme, Glück durch materielle Güter kaufen zu können.

4. Dankbarkeit

Reisen ist ein Privileg, das nur den Wenigsten ermöglicht wird. Bei allem Spaß am Sonnenbaden, Tuk-Tuk-Fahren oder Souvenirshopping sollte man nie vergessen, dass ein Großteil der Bevölkerung das eigene Land, geschweige denn das eigene Dorf, vielleicht nie verlässt. Wir Reisenden sind in der glücklichen Position, dass wir die Möglichkeiten und Mittel dazu haben und dass unser Geld anderswo auch noch großen Wert besitzt. Ich bin also dankbar, dieses Leben zu haben und es nach meinen Wünschen gestalten zu können.

5. Positives Denken

Ich kann ziemlich sicher sagen, dass ich irgendwo auf meiner großen Reise meinen persönlichen Frieden gefunden habe. Ich fühle mich ausgeglichener, stärker, glücklicher, zuversichtlicher. Nach etwa drei Monaten hatte ich eine außerordentliche Erfahrung: mir ist plötzlich mein Platz auf dieser Welt bewusst geworden. Und ich habe erkannt, dass sich alles in einem stetigen Fluss befindet. Was bringt es also, sich ständig um die Zukunft zu sorgen? Gelebt wird im Jetzt und alles Weitere kommt ganz von selbst. Reisen kann also durchaus auch eine sehr spirituelle Erfahrung sein, die dein Denken nachhaltig beeinflusst. Ich habe gelernt, mit offeneren Augen durch die Welt zu gehen, meinen Mitmenschen mit einem Lächeln zu begegnen und Zuversicht zu haben, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde.

6. Kreativität

Bei solch einer Vielzahl von Sinneseindrücken, die man unterwegs aufschnappt, lässt der kreative Funke nicht lange auf sich warten. So viele Farben, Gerüche, Geschmäcker – Reisen inspiriert und füttert den Kopf auch lange nach der Heimkehr. Außerdem erfordert das Leben auf Reisen dauernd kreative Lösungen von dir: wie komme ich von A nach B? Welches Hostel ist strategisch am klügsten? Was mache ich, wenn niemand Englisch versteht? Man muss sich ständig auf neue Situationen einstellen und flexibel bleiben; eine Fähigkeit, die in jeder Lebenslage von großer Hilfe ist.

7. Unabhängigkeit

Alleine durch die Welt zu Reisen ist für mich zum ultimativen Inbegriff von Freiheit geworden. Du alleine entscheidest, wohin es geht, was es zum Mittag gibt, wo und wann du schlafen möchtest. Man muss keine Kompromisse eingehen und tut einfach, wonach einem der Sinn steht. Mir ist noch einmal klar geworden, dass nur ich für mein Leben verantwortlich bin und die Zügel in der Hand halte, auch bei größeren Lebensfragen.

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Tik Tok Bangkok

Zeitig aufgestanden und trotzdem Hektik. An der Rezeption aufgehalten worden, das Zimmer musste geprüft werden. Alles gut, alle Zahnputzbecher sind noch da. Complimentary Tuk-Tuk Shuttle schläft noch. Aha. Im Laufschritt zur Hauptstraße. Es ist 7 Uhr morgens, man grillt Hähnchenspieße auf dem Gehsteig. Rauchschwaden. Bin eh schon außer Atem. Jetzt noch die Treppen hinaufspringen, sonst lässt sich hier niemand aus der Ruhe bringen. BTS Surasak, kein Zug kommt. Warten warten, zehn Minuten, dann in den überfüllten Wagon zur Mo Chit Station, ins nächste Taxi gehetzt, hinsetzen und durchatmen. Viertel vor 8. In 15 Minuten wird der Bus abfahren und wir stecken im Berufsverkehr fest. Wohin wir wollen fragt der Fahrer, ein aufgeweckter Glatzkopf. Cambodia. Kambuja? Ehh, no. Cambodia! Ahh, Kambuja. Ehh. Innerlich ist Kambuja längst abgeschrieben. 7:59.

Wenn ich etwas über die thailändische öffentlichen Verkehrsmittel gelernt habe, dann dass sie auf die Minute genau losfahren. Die Ankunft am Zielort verzögert sich regelmäßig um mehrere Stunden. Wir sprinten los, über den Parkplatz, durch die Wartehalle, zu den durchnummerierten Terminals. Ich halte einen kurzen Moment inne und frage mich, was an dieser Situation ungewöhnlich erscheint. Durch die Lautsprecher dröhnen heitere Trompeten, ein jeder steht andächtig an seinem Platze. Wir sind mitten in die Phleng Chat, Nationalhymne der Thais, gerannt. Unendliche Beschämung. Ihr Komponist ist übrigens ein deutsch-stämmiger Thai dessen Vater in Trier geboren wurde. Man starrt uns an als hätten wir gerade einen Babyelefanten gemeuchelt.
Was habe ich nicht alles im Vorfeld darüber gelesen. Horrorstorys von abgezockten Touristen, die völlig ahnungslos in krude Hinterhofwirtschaften gelotst werden und nicht freigelassen werden ehe sie ein schickes Seidenhemd vom zahnlosen Schwager des Busfahrers gekauft haben. Von desaströsen Straßenzuständen, die ähnliche Folgen mit sich ziehen wie eine dreistündige Fahrt auf einer ungesicherten Reverse-Double-Loop-Achterbahn. Von fiesen Visa-Gangstern und langfingrigen Straßenkindern.
Kambodscha wird bestimmt anders als Thailand sein, ganz sicher.

 

Welcome back

Wow. Nun ist es tatsächlich passiert. Ich bin wieder zurück. Und mein Gefühlsleben könnte kaum chaotischer sein. Nach der anfänglichen Euphorie und der darauf folgenden Lethargie fühle ich mich mittlerweile so, als wäre ich von einen schwarzem Loch verschlungen, durchgeschüttelt und dann in eine andere Galaxie gespuckt worden. Es irritiert mich, wie altvertraut alles wirkt. So als wär ich nie weggewesen. Ich schaue mich auf meiner Straße um. Im Supermarkt gegenüber arbeiten zwei neue Kassiererinnen, der Frozen Yoghurt Shop hat wieder dichtgemacht, im Café am Park, in dem ich vorher gekellnert habe, gibt es eine neue Sitzordnung – aber kann das alles gewesen sein?
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Noch will ich es wahrscheinlich nicht wahrhaben, aber hin und wieder dämmert mir, was ich angerichtet habe. Zu gehen, wiederzukommen.