Orte, Ozeanien
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Kalt in Wellington

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Hinter mir knistert das Feuer im Kamin und ich friere trotzdem. Längst hat die Dämmerung begonnen. Ich weiß nicht mehr wann genau. Seit morgens in der Früh bedeckt ein feiner Regen die grünen Hügel hinter dem Haus mit einem grauen Schleier. Tropfen prasseln unnachgiebig auf das Dachfenster und fließen entlang der Fassade den roten Gehsteig hinab. Von meinem Schreibtisch kann ich ein leeres Vogelnest sehen, das zusammen mit den Blättern bei jeder Brise schaukelt. An diesen Tagen kann man die Kälte förmlich sehen und spürt sie schon, bevor man das Haus verlässt.

Seit acht Tagen lebe ich nun im Haus eines Neuseeländers, das ganz oben am Hang oberhalb einer beschaulichen Bucht sitzt, nicht weit von Wellington. Morgens schlafe ich so lange ich möchte, stehe aber spätestens gegen Neun auf. In der Küche wartet ein unglaublicher Berg Obst, etliche Kilo Bananen, Äpfel, Orangen, Erdbeeren, dazu selbstgemachtes Müsli, und eine Kanne Tee. Anschließend helfe ich, das Haus nebenan zu renovieren. Ich streiche Fensterrahmen, fertige Fußleisten an, bearbeite Holz mit schweren Gerätschaften. Ich tausche meine Zeit und meine Leistung gegen einen Schlafplatz und Verpflegung ein. Dazwischen geschieht das, was sich in Waren schwer messen lässt. Gute Gespräche, einen Einblick in ein anderes Leben, in eine andere Kultur, neue Aussichten.

Wenn man über Wochen sein Schlafzimmer mit anderen Menschen geteilt hat und Privatsphäre vorübergehend zum Fremdwort geworden ist, weiß man die simpelsten Dinge plötzlich sehr zu schätzen. Obwohl ich daheim alles habe, habe ich hier doch nichts. In Hinsicht auf die elementarsten Dinge des alltäglichen Lebens mache ich mich vollständig abhängig. Das fühlt sich zunächst ungewohnt und unangenehm an, kann aber sehr befreiend sein. Ich muss mich um weniger kümmern und habe mehr Zeit. Für mich ist dieser Tausch momentan ideal. Ich bin überrascht, wie herzlich und selbstverständlich ich als Mitglied der Familie aufgenommen werde. Einem fremden Menschen sein Zuhause zu öffnen und sein Leben mit ihm zu teilen erfordert viel Vertrauen und dafür verspüre ich tiefe Dankbarkeit.

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